Depression entstigmatisieren: Fakten gegen Vorurteile
Die Behandlung depressiver Störungen ist nach wie vor mit zahlreichen Vorurteilen behaftet. Diese Vereinfachungen und Mythen können einen wichtigen Beitrag zur Vorurteilsbildung leisten und damit den Therapieerfolg behindern. Die Ergebnisse aus dem „Deutschland-Barometer Depression 2019“ unterstreichen eindrucksvoll: Nur 58 Prozent der 30–69-jährigen Befragten bewerten Medikamente als sinnvolle Komponente der Depressionsbehandlung. Gleichzeitig wünschen sich viele Betroffene explizit eine Psychotherapie. Trotz höherer Akzeptanz körperlicher Medikation werden Psychopharmaka häufig kritisch beurteilt oder ganz abgelehnt – meist auf Basis weit verbreiteter Irrtümer.
Symptome: Woran lässt sich eine Depression wirklich erkennen?
Depressionen gehen weit über bloße Traurigkeit hinaus. Sie sind aus medizinischer Sicht eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, die sich durch lang anhaltende Symptome wie gedrückte Stimmung und Antriebslosigkeit von bloßer Niedergeschlagenheit unterscheidet. Prof. Dr. Udo Dannlowski, Leiter des Instituts für Translationale Psychiatrie an der Universität Münster, verdeutlicht im WWU-Podcast, wo die Grenze zwischen Niedergeschlagenheit und Krankheit verläuft:
„Wenn man nicht mehr am Alltag teilnehmen kann, ist es an der Zeit, einen Arzt aufzusuchen“, betont der Mediziner und Psychologe.
Nach ICD-10-Kriterien manifestieren sie sich durch mindestens zwei Leitsymptome: gedrückte Stimmung, Interessenverlust oder Antriebsmangel mit schneller Ermüdbarkeit. Hinzu kommen häufig weitere Beschwerden wie Schlafstörungen (zum Beispiel frühes Erwachen einige Stunden vor der gewohnten Zeit), ein „Morgentief“, psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsabnahme und mangelnde Libido. Besonders komplex gestalten sich Symptomatik und Wahrnehmung bei Männern – hier dominieren oft Aggressivität, risikoreiches Verhalten und Substanzmissbrauch. Ältere Betroffene wiederum erleben die körperlichen Beschwerden meist als schwerwiegend und interpretieren kognitive Einschränkungen fälschlich als Demenz.
Vielschichtige Erscheinungsbilder erfordern gezielte Aufklärung
Wichtige Hinweise für die professionelle Diagnose liefern auch sogenannte somatische Symptome. Dazu zählen beispielsweise frühzeitiges Erwachen, markante Aktivitätsminderung und Veränderungen im Appetit. In speziellen Patient:innengruppen – etwa Männern oder älteren Erwachsenen – sind die Symptome vielfältig. Während sich Depressionen bei jüngeren Männern eher durch Gereiztheit und selbstschädigendes Verhalten äußern, stehen bei älteren Menschen körperliche Schmerzen und Gedächtnisprobleme im Vordergrund. Für Ärzt:innen ist es daher unabdingbar, den gesamten Symptomkomplex im Gespräch bewusst und differenziert abzubilden.
Antidepressiva unter der Lupe: Was ist dran an den Vorurteilen?
Ein zentrales Vorurteil: Antidepressiva machen abhängig oder verändern die Persönlichkeit. Doch aktuelle Leitlinien und Experten stellen klar: Weder erzeugen diese Medikamente eine Abhängigkeit, noch beeinflussen sie die Persönlichkeit oder machen „high“. Vielmehr sind sie bei richtiger Indikation und ärztlicher Überwachung sichere medikamentöse Optionen. Allerdings gilt es auch, mögliche Nebenwirkungen realistisch zu thematisieren. Besonders die Gewichtszunahme durch gesteigerten Appetit infolge der Serotonin-Rezeptor-Blockade (etwa unter Mirtazapin) sowie gelegentliche Einschränkungen bei der Fahrtauglichkeit – speziell in den ersten 10 bis 14 Tagen unter tri- und tetrazyklischen Antidepressiva – sollten offensiv angesprochen werden.
Nebenwirkung sexuelle Funktionsstörung: Offenheit hilft
Ein weiteres wichtiges Thema ist die sexuelle Dysfunktion unter der Therapie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). Nahezu alle Betroffenen berichten gemäß Healy et al. (2020) über eine verminderte Empfindlichkeit im Genitalbereich. Diese Störung kann vorübergehend oder auch über das Ende der Behandlung hinaus auftreten und beeinträchtigt die Lebensqualität vieler Patient:innen stark. Da Betroffene dies selten von sich aus kommunizieren, sollten Fachleute frühzeitig und gezielt darauf ansprechen – am besten noch vor Therapiebeginn.
Von Scheinwissen zu Fakten – ein Plädoyer für informierte Behandlung
Je besser Patient:innen, Angehörige und das therapeutische Umfeld informiert sind, desto erfolgreicher lässt sich mit Vorurteilen aufräumen. Eine professionelle und offene Kommunikation über Symptome, Verlauf, Therapieoptionen sowie über mögliche und reale Nebenwirkungen fördert Akzeptanz und Vertrauen. Voraussetzung für den Behandlungserfolg ist nicht zuletzt, dass Betroffene sich mit dem Therapieverlauf sicher fühlen und aktiv an Entscheidungen beteiligt werden.
Quellen:
Martin, L. A. et al. (2013): The experience of symptoms of depression in men vs women: analysis of the National Comorbidity Survey Replication. JAMA Psychiatry. DOI:10.1001/jamapsychiatry.2013.1985
Schmauß, M. (2019): Therapietabellen Depression
Healy, D. (2019): Post-SSRI sexual dysfunction & other enduring sexual dysfunctions. Epidemiology and Psychiatric Sciences. https://doi.org/10.1017/S2045796019000519
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. 2022. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-005 (abgerufen am 27.09.2025).
Deutsche Depressionshilfe: Depression in verschiedenen Facetten. https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/depression-in-verschiedenen-facetten (abgerufen am 27.09.2025).
Deutschland-Barometer Depression 2018: Befragung „Volkskrankheit Depression – So denkt Deutschland“. https://www.deutsche-depressionshilfe.de/presse-und-pr/downloads (abgerufen am 27.09.2025).
European Alliance Against Depression: Vorurteile gegenüber Antidepressiva. https://ifightdepression.com/de/fuer-aerzte-apotheker/fuer-apotheker/vorurteile-gegenueber-antidepressiva (abgerufen am 27.09.2025).
Universität Münster – Medizinische Fakultät: Mehr als nur „traurig“: Psychologe und Mediziner Udo Dannlowski über Depressionen als Volkskrankheit. 2022. https://www.medizin.uni-muenster.de/fakultaet/news/mehr-als-nur-traurig-psychologe-und-mediziner-udo-dannlowski-ueber-depressionen-als-volkskrankheit.html (abgerufen am 27.09.2025).
Springermedizin: 5 Möglichkeiten, wenn der Therapieplatz auf sich warten lässt. 2024. https://www.springermedizin.de/3-vorurteile-und-wie-sie-diese-aus-der-welt-schaffen/26554636 (abgerufen am 27.09.2025).
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