Psychostress und Hautalarm: Die unsichtbaren Folgen des Klimawandels

Verdörrter Bodenmit einer kleinen Pflanze in der Mitte - Sinnbild für den Klimawandel

Die Folgen des Klimawandels sind längst nicht mehr nur ein ökologisches Problem – sie betreffen direkt die menschliche Gesundheit, körperlich wie psychisch. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Dermatologie: Umweltveränderungen, Hauterkrankungen und psychische Belastungen sind eng miteinander verknüpft. Die aktuelle Forschung fordert ein Umdenken: Medizin muss planetare, psychische und körperliche Gesundheit gemeinsam betrachten. Die Canmore Declaration von Prescott et al. (2018) liefert dafür zentrale Prinzipien, während Engel (1977) bereits vor Jahrzehnten das biopsychosoziale Modell als Grundlage für eine ganzheitliche Medizin forderte.

Haut unter Druck: Klimawandel als dermatologische Herausforderung

Die Haut ist als größtes Organ besonders sensibel für klimatische und ökologische Veränderungen. Steigende Temperaturen, erhöhte UV-Strahlung, Luftverschmutzung und Extremwetterlagen führen zu einer Zunahme chronischer und akuter Hauterkrankungen wie atopischer Dermatitis, Psoriasis und Urtikaria. Gleichzeitig können klimaassoziierte Umweltveränderungen unabhängig von Hauterkrankungen psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Stressreaktionen auslösen oder verstärken. Studien zeigen, dass Extremwetterereignisse das Risiko für psychische Erkrankungen nahezu verdoppeln können.

Ein Beispiel aus der dermatologischen Praxis: Patient:innen mit Neurodermitis berichten, dass Hitzewellen und hohe Ozonwerte ihre Symptome verschlimmern. Gleichzeitig erleben sie durch Umweltveränderungen verstärkte Ängste und Erschöpfung – ein Zusammenspiel, das die Versorgung komplexer macht.

Klimaangst und Solastalgie: Wenn die Psyche leidet

Die psychischen Reaktionen auf die Klimakrise sind vielfältig. Solastalgie beschreibt die Trauer über den Verlust vertrauter Umwelten, während Klimaangst – besonders unter Jugendlichen – zu Schlafstörungen, Zukunftsangst und innerer Erschöpfung führen kann. In einer internationalen Umfrage gaben 75 % der 16- bis 25-Jährigen an, die Zukunft als beängstigend zu empfinden. Solche Emotionen sind reale Reaktionsformen auf eine sich verändernde Welt und beeinflussen das individuelle und gesellschaftliche Wohlbefinden nachhaltig.

Die Forschung betont, dass diese psychischen Belastungen nicht nur als Nebenprodukt der Klimakrise betrachtet werden dürfen, sondern als eigenständige Krankheitsbilder, die gezielte Prävention und Therapie erfordern. Der Umgang mit Klimaangst und Solastalgie wird damit zu einer zentralen Aufgabe für die sprechende Medizin und Psychotherapie.

Medizin im Wandel: Das biopsychosoziale Modell und seine Erweiterung

Bereits 1977 forderte George L. Engel eine Abkehr vom rein biomedizinischen Krankheitsverständnis und entwickelte das biopsychosoziale Modell, das biologische, psychologische und soziale Faktoren gleichberechtigt berücksichtigt. Dieses Modell bietet eine Grundlage, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Umwelt, Haut und Psyche zu verstehen. Dohm et al. (2024) schlagen vor, das Modell um eine vierte Dimension zu erweitern: die Umwelt. Faktoren wie UV-Strahlung, Schadstoffe und emotionale Reaktionen auf die Klimakrise wirken direkt und indirekt auf den Organismus und die Psyche ein.

Die integrative Betrachtung dermatologischer und psychischer Beschwerden im Kontext von Klima- und Umweltveränderungen erfordert auch eine Anpassung der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Nur so kann den neuen Herausforderungen in der Versorgung begegnet werden.

Planetare Gesundheit: Neue Leitlinien für die Versorgung

Das Konzept der „Planetaren Gesundheit“ (Planetary Health) betont die untrennbare Verbindung zwischen menschlicher Gesundheit und dem Zustand der natürlichen, sozialen und wirtschaftlichen Systeme. Die Canmore Declaration formuliert zehn Prinzipien, darunter die nachhaltige Vitalität aller Systeme, die Integration von Werten und Zwecken sowie die Förderung von Resilienz und Prävention. Ziel ist es, Lösungen zu entwickeln, die sowohl dem Planeten als auch den Menschen zugutekommen. Dafür ist jedoch eine transdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig, um Prävention, Versorgung und Forschung an die planetaren Herausforderungen anzupassen.

Fazit

Klimawandel, Umweltstress und psychische Belastungen sind eng miteinander verbunden und stellen die Medizin vor neue Aufgaben. Um Haut und Psyche in einer sich wandelnden Welt zu schützen, braucht es eine integrative, fachübergreifende Herangehensweise, die Umweltfaktoren systematisch berücksichtigt und Prävention sowie Resilienz in den Mittelpunkt stellt.

Quellen:

Grosskopf, C. M., et al. "Planetare Gesundheit und psychische Gesundheit." Der Nervenarzt, 2024. https://doi.org/10.1007/s00115-024-01742-1

Dohm, L., et al. "Psychische Folgen von Klima- und Umweltveränderungen am Beispiel der Dermatologie." Die Dermatologie, 2024. https://doi.org/10.1007/s00105-024-05396-7

Engel, G. L. "The Need for a New Medical Model: A Challenge for Biomedicine." Science, 1977. https://doi.org/10.1126/science.847460

Prescott, S. L., et al. "The Canmore Declaration: Statement of Principles for Planetary Health." Challenges, 2018. https://doi.org/10.3390/challe9020031

Heinz, A., et al. "Positionspapier 'Klimawandel und psychische Gesundheit'." Der Nervenarzt, 2023. https://doi.org/10.1007/s00115-023-01457-9

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