Unsichtbare Krise: Depressionen bei jungen Männern im Fokus

Das Bild zeigt eine Person, die mit nachdenklichem oder bedrücktem Gesichtsausdruck auf einem Stuhl sitzt. Sie hat die Arme um die Knie geschlungen und wirkt in sich gekehrt. Die Szene vermittelt einen Moment der Traurigkeit, Nachdenklichkeit oder inneren
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Der DAK-Psychreport 2024 zeichnet ein alarmierendes Bild: Psychische Erkrankungen nehmen in Deutschland weiter zu – und besonders junge Männer sind davon betroffen. In der Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen verzeichnete die Krankenkasse 2023 einen besorgniserregenden Anstieg der Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Belastungen. Während die Entwicklung bei beiden Geschlechtern auffällig ist, zeigen die Daten für Männer ein besonders dramatisches Bild: Ein Plus von 42% bei den Krankschreibungen innerhalb nur eines Jahres. Damit wird deutlich: Gerade bei jungen Männern darf Depression nicht weiter übersehen oder falsch eingeordnet werden.

Warum Depressionen bei Männern oft unerkannt bleiben

Trotz dieser Zahlen wird die Diagnose „Depression“ in der Praxis nach wie vor häufiger Frauen gestellt. Doch sind Männer tatsächlich seltener betroffen? Expert:innen weisen darauf hin, dass Depressionen bei Männern eher undeutlich erkannt werden, da die Symptome oft ungewöhnliche Formen annehmen. Gereiztheit, Aggressivität, feindselige Reaktionen, riskantes Verhalten oder Substanzmissbrauch sind Ausdrucksformen, die nicht automatisch mit einer Depression in Zusammenhang gebracht werden. Hinzu kommen Fluchtmechanismen wie übermäßige Arbeitszeit oder exzessiver Sport, kontrollierendes Verhalten oder die Tendenz, Traurigkeit und psychische Probleme kategorisch zu leugnen.

Das bedeutet: Während klassische Kernsymptome wie Freudlosigkeit, Antriebsmangel oder Niedergeschlagenheit bei Männern durchaus vorhanden sind, werden sie häufig von auffälligen Verhaltensmustern überlagert. Zwar stellt die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ von 2022 klar, dass Frauen nachweislich häufiger erkranken, doch bleibt die Dunkelziffer bei Männern schwer zu erfassen.

Geschlechterunterschiede in der Diagnosestellung

Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen beschränken sich nicht nur auf Symptomprofile, sondern auch auf das Verhalten im Gesundheitswesen. Frauen suchen im Schnitt häufiger professionelle Unterstützung, ihre Beschwerden werden in ärztlichen Kontexten schneller als krankheitswertig eingestuft. Männer hingegen neigen dazu, ihre Symptome auf körperliche Ursachen zu schieben. Dadurch werden depressive Störungen bei ihnen häufiger als somatische Beschwerden fehlgedeutet. Selbst bei vergleichbaren Depressionsscores zeigt sich, dass Männer seltener die Diagnose Depression erhalten.

Arbeitsausfälle: ein Spiegel der Belastung

Die Studienlage belegt die gesellschaftliche Dimension des Problems. Laut DAK-Psychreport nahmen die Arbeitsunfähigkeitsfälle aufgrund psychischer Erkrankungen auch im Jahr 2023 erneut zu. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der AU-Fälle bei Männern um 21%, bei Frauen um 19%. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg bei Männern zwischen 25 und 29 Jahren: Hier kletterte die Zahl der Fälle infolge psychischer Krankheiten innerhalb von nur zwölf Monaten um 42%.

Depressionen zählen weiterhin zu den Hauptursachen für Arbeitsausfälle. Die durch Depressionen bedingten Fehlzeiten (ICD-Codes F32/F33) stiegen zwischen 2022 und 2023 nochmals um 3,1% an – ein erneuter Höchststand. Diese Entwicklung deutet klar darauf hin, dass depressive Erkrankungen bei Männern vermutlich unterdiagnostiziert sind und folglich lange unbehandelt bleiben.

Therapieempfehlungen der Leitlinie: Welche Optionen haben Männer?

Die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ empfiehlt für leichte Episoden niedrigschwellige, schnell verfügbare Verfahren, während bei mittelgradigen Verläufen Psychotherapie und pharmakologische Therapie gleichwertig in Betracht gezogen werden sollten. Doch gerade bei jungen männlichen Patienten gilt es, bei der Auswahl von Antidepressiva besondere Aspekte zu berücksichtigen.

Besonders die Substanzklasse der SSRI (z. B. Citalopram, Escitalopram) ist bekannt dafür, sexuelle Nebenwirkungen hervorzurufen. Dazu zählen Ejakulationsstörungen, erektile Dysfunktion, Orgasmusstörungen und verminderte Libido. Solche unerwünschten Wirkungen können die Therapieakzeptanz erheblich beeinträchtigen – und sie verschwinden nicht zwangsläufig mit dem Absetzen des Medikaments. Teilweise treten sie sogar erst nach Behandlungsende auf (Post-SSRI-Syndrom).

Nebenwirkungen ernst nehmen – Alternativen prüfen

Im Rahmen partizipativer Entscheidungsprozesse sollten Ärzt:innen das Sexualleben ihrer Patient:innen thematisieren, bevor über eine passende medikamentöse Therapie entschieden wird. Dabei lassen sich Wirkstoffe identifizieren, die ein geringeres Risiko für sexuelle Funktionsstörungen mit sich bringen. Dazu zählen Bupropion, Moclobemid, Agomelatin, Mirtazapin, Trazodon, Tianeptin oder pflanzliche Johanniskraut-Präparate. Letztere tragen den Vorteil, dass sie laut Leitlinie bei leichten bis mittelgradigen Depressionen gleichwertig zu chemischen Antidepressiva eingesetzt werden können. Außerdem berichten Studien, dass Johanniskraut im Gegensatz zu vielen SSRI nicht zu Gewichtszunahme führt.

Wenn SSRI unverzichtbar sind

Es gibt jedoch klinische Situationen, in denen SSRI dennoch die Mittel der ersten Wahl bleiben. Dies gilt insbesondere dann, wenn depressive Episoden mit Zwangssymptomen einhergehen – hier werden SSRI oder alternativ Clomipramin empfohlen. In diesen Fällen bleibt häufig keine Wahl, als die Nebenwirkungen zumindest teilweise in Kauf zu nehmen. Möglichkeiten der Anpassung bestehen aber durch Umstellungen, Kombinationstherapien oder gezielte Augmentation. Bei erektilen Dysfunktionen können z.B. PDE-V-Hemmer wie Sildenafil ergänzend eingesetzt werden. Auch die Kombination eines SSRI mit Bupropion gilt als Option, die nicht nur Nebenwirkungen abmildern, sondern auch die Wirkung verbessern kann.

Fazit: Frühe Diagnose, individuelle Therapie

Die aktuellen Daten verdeutlichen: Depressionen bei Männern, insbesondere in jungen Jahren, werden vielfach zu spät erkannt, zu selten diagnostiziert und zu zögerlich behandelt. Die steigenden Arbeitsausfälle sind nur ein Symptom dieser Unterversorgung. Umso wichtiger ist eine erhöhte Aufmerksamkeit für untypische Symptome, eine differenzierte Diagnostik sowie eine therapeutische Vorgehensweise, die Nebenwirkungen berücksichtigt und gemeinsam mit den Patient:innen abgestimmt wird. Nur so gelingt es, die Versorgungslücke bei depressiven Männern wirksam zu schließen.

Auch interessant:

Antidepressiva: Antworten auf 5 entscheidende Fragen (https://www.springermedizin.de/antidepressiva--antworten-auf-5-entscheidende-fragen/26940810)

Quellen:

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. 2022. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-005 (abgerufen am 29.08.2025)

Gastpar, M. et al. (2006): Comparative Efficacy and Safety of a Once-Daily Dosage of Hypericum Extract STW3-VI and Citalopram in Patients with Moderate Depression: A Double-Blind, Randomised, Multicentre, Placebo-Controlled Study. Pharmacopsychiatry. DOI: 10.1055/s-2006-931544

Kresimon, J. et al. (2012): Versorgung von Patienten mit mittelschwerer Depression unter Therapie mit Hypericum-Extrakt STW3-VI im Vergleich zu selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) im Praxisalltag. Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement. DOI: 10.1055/s-0031-1299123

Springer Medizin: Alarmierender Anstieg psychischer Erkrankungen bei jungen Patienten. 2024. https://www.springermedizin.de/anstieg-psychischer-erkrankungen-bei-jungen-patienten/27082858 (abgerufen am 29.09.2025).

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