Am Rand des Zusammenbruchs: Warum unser Gesundheitssystem seine Ärzt:innen krank macht

Stress oder Burnout bei einer Ärztin, die in einem Sprechzimmer oder Büro im Krankenhaus nachdenkt und an ihrem Laptop arbeitet. Medizinisches Fachpersonal oder Facharzt mit psychischen Problemen und Kopfschmerzen.

Der medizinische Beruf gilt als verantwortungsvoll und erfüllend – doch hinter dieser Fassade verbirgt sich oft eine schwierige Realität. Der marode Gesundheitssektor, lange Arbeitszeiten und der stetig wachsende bürokratische Aufwand setzen Ärztinnen und Ärzten zunehmend zu. Immer mehr von ihnen leiden unter Burnout-Symptomen, die mit Erschöpfung, Distanzierung vom Beruf und sinkender Leistungsfähigkeit einhergehen. Diese Entwicklung ist nicht nur persönlich belastend, sondern gefährdet auch die Qualität der Patientenversorgung.

Drei Phasen des Burnouts: Ein klar definierter Prozess

Im Mai 2019 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Burnout offiziell als Syndrom im ICD-11 aufgenommen. Dieses Syndrom entsteht infolge von anhaltendem und nicht bewältigtem Stress am Arbeitsplatz und zeigt sich in drei wesentlichen Merkmalen: einem intensiven Gefühl der Erschöpfung, einer zunehmenden geistigen Distanz und negativen Haltung gegenüber dem Beruf sowie einer spürbaren Abnahme der Arbeitsleistung. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass Burnout ausschließlich im beruflichen Kontext betrachtet wird; Belastungen aus dem privaten oder familiären Umfeld sind in dieser Definition nicht eingeschlossen.

Warnsignale für Burnout erkennen: Was Ärzt:innen beachten sollten

Burnout entwickelt sich meist schleichend und zeigt sich durch verschiedene Warnsignale, auf die Ärztinnen und Ärzte besonders achten sollten. Dazu gehören deutliche Erschöpfung und Überforderung, anhaltende Müdigkeit, Schlafstörungen sowie Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen und eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte. Psychisch äußert sich Burnout häufig durch Frustration, Zynismus oder eine Abwertung der eigenen Arbeit und der Kolleg:innen. Auch die Leistungsfähigkeit nimmt ab, was sich durch Konzentrationsprobleme, Unzufriedenheit und verminderte Kreativität bemerkbar macht. Diese Symptome sind ernst zu nehmen, da unbehandeltes Burnout oft in eine Depression übergeht. Dr. J. Bryan Sexton beschreibt Burnout als eine beeinträchtigte Fähigkeit, positive Gefühle zu empfinden.

Arbeitsbedingungen in der Medizin: Zahlen, die alarmieren

Ärzt:innen in Deutschland arbeiten durchschnittlich 53 Stunden pro Woche – das ist etwa 15 Stunden mehr als der Durchschnitt anderer Berufsgruppen. Davon entfallen über 35 Stunden auf die direkte Patientenversorgung, weit über dem gesetzlich geforderten Minimum von 25 Stunden nach dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Hinzu kommen bis zu 9 Stunden pro Woche für Verwaltungsaufgaben.

Die enorme Belastung zeigt sich deutlich in den Zahlen zum Burnout unter Ärztinnen und Ärzten: 26 Prozent von ihnen fühlen sich ausgebrannt. Der globale Burnout-Bericht von Medscape, der 615 deutsche Mediziner:innen einbezog, offenbart ein alarmierendes Bild: Fast die Hälfte der Befragten leidet unter körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung. 24 Prozent geben an, an einer Depression oder depressiven Verstimmung zu leiden, während 9 Prozent sowohl Burnout als auch Depression gleichzeitig erleben. Weitere 12,5 Prozent berichten ausschließlich von Burnout. Gleichzeitig erklären 56 Prozent, keine Symptome wahrzunehmen. Besonders auffällig ist, dass bei mehr als 60 Prozent die Beschwerden schon länger als ein Jahr andauern und 75 Prozent bestätigen, dass ihr Burnout schließlich in eine Depression mündete.

Auswirkungen auf die Patientenversorgung: Medizin unter psychischer Belastung

Viele Mediziner:innen ignorieren ihre Symptome lange, auch weil sie schon im Studium lernen, Grenzen zu überschreiten und sich selbst hintenanzustellen. Die Sorge um die Patient:innen steht oft im Vordergrund. Zudem spielen Scham und Angst vor Stigmatisierung eine große Rolle. Häufig ziehen sich Betroffene sozial zurück, kompensieren mit ungesunden Verhaltensweisen oder schlafen übermäßig viel. Nur jede:r fünfte Ärzt:in hat professionelle Hilfe in Anspruch genommen.

41 Prozent der Ärzt:innen mit Depressionen glauben zwar, dass ihre persönliche Belastung die Arbeit nicht beeinträchtigt, doch 37 Prozent fühlen sich gereizt und 25 Prozent geben an, unfreundlich zu sein. Nur 13 Prozent berichten von Fehlern, die sonst nicht passiert wären. Insgesamt schätzt die Mehrheit das Risiko für die Patientensicherheit als gering ein, doch die emotionale Belastung bleibt spürbar.

Fazit: Wege aus der Krise

Die aktuelle Situation verlangt ein grundlegendes Umdenken. Neben einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben fordert die medizinische Gemeinschaft mehr Unterstützung bei der psychischen Gesundheit. Die Entlastung von Verwaltungsaufwand, der Ausbau ambulanter psychosozialer Angebote, der Zugang zu schnellen Notfalltherapien und niederschwellige Hilfeangebote sind essenziell. Nur durch gezielte Maßnahmen können Burnout und dessen Folgen effektiv bekämpft werden, damit Ärzt:innen langfristig gesund bleiben und hochwertigen Beistand für ihre Patient:innen gewährleisten.

Quellen:

SpringerMedizin: Ärzte am Ende ihrer Kräfte? 2021. https://www.springermedizin.de/aerzte-am-ende-ihrer-kraefte-/18789548 (abgerufen am 05.08.2025).

World Health Organization (WHO): Burn-out an "occupational phenomenon": International Classification of Diseases. 2019. https://www.who.int/news/item/28-05-2019-burn-out-an-occupational-phenomenon-international-classification-of-diseases (abgerufen am 05.08.2025).

Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN): Positionspapier zum Thema Burnout. 2012. https://www.psychotherapeutenkammer-berlin.de/system/files/stellungnahme_dgppn_2012.pdf (abgerufen am 05.08.2025).

Medscape Deutschland: Ausgebrannt? Depressiv? Frustriert? Der Burnout-Report zeigt auf: So überlastet und krank fühlen sich Deutschlands Ärzte. 2019. https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4907712 (abgerufen am 05.08.2025).

Medscape Deutschland: 3 schöne Dinge: Simple Methode gegen Burnout lindert Symptomatik bei Ärzten und Pflegepersonal nachhaltig. 2017. https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4906488#vp_1 (abgerufen am 05.08.2025).

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