Wandel der Herzkrankheiten: Vom Herzinfarkt zur Herzinsuffizienz

Das plastische Modell eines Herzens
© jesse orrico auf Unsplash

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach wie vor die häufigste Todesursache weltweit. Doch die Art der Herzleiden, an denen Menschen sterben, hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten grundlegend verändert. Während in den 1970er-Jahren der akute Herzinfarkt im Mittelpunkt stand, dominieren heute andere Herzkrankheiten wie Herzinsuffizienz, Arrhythmien und hypertensive Herzerkrankungen das Bild. Dies zeigt eine aktuelle Analyse der US-Sterberegister, die von Sara King und ihrem Team an der Stanford University School of Medicine durchgeführt und im Journal of the American Heart Association veröffentlicht wurde (DOI: 10.1161/JAHA.124.038644). Die Studie beleuchtet eindrucksvoll, wie sich Fortschritte in Diagnostik, Akuttherapie und Prävention auf die Überlebensraten und die Verteilung der Herzkrankheiten ausgewirkt haben.

Herzinfarkt: Früher Todesurteil, heute behandelbar

Noch Anfang der 1970er-Jahre bedeutete ein Herzinfarkt für viele Patient:innen ein hohes Todesrisiko: Die Überlebenschance nach einer Klinikeinweisung lag nur bei etwa 60 %. Therapeutische Möglichkeiten waren begrenzt, und selbst der Zusammenhang zwischen dem Verschluss einer Koronararterie und dem Infarkt war nicht allgemein anerkannt. Heute hat sich das Bild grundlegend gewandelt. Dank moderner Katheterbehandlungen, die den Thrombus aus der Koronararterie entfernen und das Gefäß mit einem Stent offen halten, liegt die Überlebensrate bei über 90 % – vorausgesetzt, der Patient erreicht lebend die Klinik. Ein typischer Fall: Ein älterer Mann mit akutem Herzinfarkt wird heute innerhalb weniger Stunden interventionell behandelt und kann das Krankenhaus nach wenigen Tagen wieder verlassen. Diese Fortschritte sind das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und verbesserter Notfallversorgung.

Prävention und Risikofaktoren: Neue Wege im Kampf gegen Herzerkrankungen

Ein weiterer Schlüssel zum Rückgang der Herzinfarktsterblichkeit ist die gezielte Prävention. Während früher die Vermeidung von Stress als wichtigste Maßnahme galt, stehen heute die Reduktion klassischer Risikofaktoren im Vordergrund. Der Verzicht auf Rauchen, die Kontrolle von Bluthochdruck und die Senkung erhöhter Cholesterinwerte durch Statine oder neuere Wirkstoffe haben maßgeblich dazu beigetragen, das Risiko für akute ischämische Ereignisse zu senken. Die Zahlen sprechen für sich: 1970 starben in den USA 356.984 Menschen an einem Herzinfarkt, 2022 waren es nur noch 108.651 – ein Rückgang um fast das Vierfache. Gleichzeitig ist der Anteil der ischämischen Herzerkrankungen an den kardialen Todesfällen von 91 % auf 53 % gesunken. Diese Entwicklung zeigt, wie erfolgreich Präventionsmaßnahmen und moderne Therapien inzwischen sind.

Neue Herausforderungen: Herzinsuffizienz und Arrhythmien auf dem Vormarsch

Mit dem Rückgang der akuten Herzinfarkte rücken andere Herzerkrankungen in den Fokus. Die altersadjustierte Sterberate für hypertensive Herzkrankheiten ist um 106 % gestiegen, für chronische Herzinsuffizienz sogar um 146 %, und für Herzrhythmusstörungen um beeindruckende 450 %. Viele dieser Erkrankungen sind Spätfolgen überlebter Herzinfarkte, da das geschädigte Herzgewebe langfristig zu Pumpstörungen und Rhythmusproblemen führen kann. So erleben viele Patient:innen nach einem überstandenen Infarkt Jahre später eine Herzinsuffizienz, die ihre Lebensqualität deutlich beeinträchtigt. Auch implantierbare Defibrillatoren können nicht immer einen plötzlichen Herztod verhindern.

Lebensstil und Prävention: Die Rolle der Gesellschaft

Die Zunahme chronischer Herzkrankheiten macht deutlich, dass medizinischer Fortschritt allein nicht ausreicht. Präventive Maßnahmen müssen auf gesellschaftlicher Ebene verstärkt werden. Programme zur Förderung von Bewegung, gesunder Ernährung und der Reduktion von Übergewicht sind essenziell, um die Entstehung von Bluthochdruck, Diabetes und daraus resultierenden Herzerkrankungen zu verhindern. In der Praxis zeigt sich, dass Patient:innen, die nach einem Herzinfarkt ihren Lebensstil konsequent umstellen, langfristig ein deutlich geringeres Risiko für weitere Herzprobleme haben. Hier sind interdisziplinäre Ansätze gefragt, die Medizin, Politik und Gesellschaft gemeinsam verfolgen müssen.

Auch Sara King unterstreicht die Bedeutung eines umfassenden Präventionsansatzes: „Wir haben große Erfolge im Kampf gegen Herzinfarkte erzielt, aber der Krieg gegen Herzkrankheiten ist noch nicht vorbei. Jetzt müssen wir uns Herzinsuffizienz und anderen chronischen Erkrankungen widmen, die Menschen im Alter betreffen“, so King. Sie betont weiter, dass die Kardiologie-Gemeinschaft sich darauf vorbereiten müsse, „diese wachsende Herausforderung durch Prävention, langfristige Betreuung und multidisziplinäre Versorgung zu bewältigen, die ein gesundes Altern unterstützt.“ Die nächste große Aufgabe bestehe nicht nur darin, Herzinfarkte zu verhindern, sondern auch darin, Menschen zu helfen, mit gesünderen Herzen zu altern und chronische Herzerkrankungen im späteren Leben zu vermeiden.

Fazit

Die letzten 50 Jahre haben gezeigt, wie wirksam medizinischer Fortschritt und Prävention das Risiko tödlicher Herzinfarkte senken können. Gleichzeitig erfordert der Anstieg chronischer Herzerkrankungen neue Strategien, die über die Akutversorgung hinausgehen. Die Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz (AWMF-Register-Nr. nvl-006) empfiehlt ein strukturiertes Management, das sowohl medikamentöse Therapie als auch edukative und lebensstilbezogene Maßnahmen umfasst. Ziel ist es, Prävention und Versorgung kontinuierlich zu verbessern und den komplexen Anforderungen in der Behandlung – insbesondere bei älteren und multimorbiden Patient:innen – gerecht zu werden.

Quellen:
  • Deutsches Ärzteblatt: 50-Jahres-Studie: Weniger Menschen sterben am Herzinfarkt. https://www.aerzteblatt.de/news/rubriken/medizin/50-jahres-studie-weniger-menschen-sterben-am-herzinfarkt-d937d06e-1f9d-4e72-9fa6-bb24c2ff3594 (abgerufen am 30.06.2025).
  • King, Sara J., et al. "Changing Patterns in Heart Disease Mortality in the United States, 1970–2022." 2025. https://doi.org/10.1161/JAHA.124.03864
  • World Health Organization: Cardiovascular diseases (CVDs) – Key facts. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/cardiovascular-diseases-(cvds) (abgerufen am 30.06.2025).
  • American Heart Association: Still top cause of death: The types of heart disease people are dying from is changing. https://newsroom.heart.org/news/still-top-cause-of-death-the-types-of-heart-disease-people-are-dying-from-is-changing?preview=026c&preview_mode=True (abgerufen am 30.06.2025).
  • Stanford Medicine: As fewer Americans die from heart attacks, more succumb to chronic heart disease. https://med.stanford.edu/news/all-news/2025/06/heart-attack.html (abgerufen am 30.06.2025).
  • AWMF online: S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz, Register-Nr. nvl-006. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-006 (abgerufen am 30.06.2025).
Auch interessant:
Bild zum Artikel„Die Haut als unterschätzter Leidensfaktor bei chronischer Nierenerkrankung“

Hautmanifestationen bei chronischer Nierenerkrankung werden häufig unterschätzt – dabei leiden fast alle Patient:innen mit terminalem Nierenversagen an Pruritus, Xerosis & Co. Doch was bedeutet das für die Praxis? Lesen Sie, warum ein interdisziplinärer Ansatz in der CKD-Therapie zunehmend unverzichtbar wird.

Bild zum Artikel„Mikronadelpflaster – kleines Format mit großer Wirkung“

Wo klassische Therapien an ihre Grenzen stoßen, bieten Mikronadel-Pflaster eine innovative Lösung: Sie ermöglichen eine minimalinvasive, gezielte Wirkstoffabgabe direkt ins Gewebe – schmerzfrei und effektiv. Von chronischen Wunden bis zur Nervenregeneration eröffnen Mikronadeln neue Chancen in der personalisierten Medizin.

Bild zum Artikel„Frag mich doch mal – die richtigen Fragen an dich selbst“

Die Macht der Frage wird vor allem in der Selbstreflexion sehr häufig unterschätzt. Fragen sind ein starkes Werkzeug, um sich und sein Handeln zu hinterfragen und neue Handlungsoptionen für die Zukunft zu entwickeln.

Navigation Schließen Suche E-Mail Telefon Kontakt Pfeil nach unten Pfeil nach oben Pfeil nach links Pfeil nach rechts Standort Download Externer Link Startseite