Schwangerschaftsabbruch: Ärztetag fordert Ende der Strafbarkeit und mehr Selbstbestimmung

Schwangerschaftsabbruch: § 218 im StGB
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Die Debatte um die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland hat durch den 128. Deutschen Ärztetag neuen Schwung bekommen. Nach intensiven Diskussionen forderten die Delegierten mit großer Mehrheit die Streichung des Paragrafen 218a Strafgesetzbuch (StGB), der Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich unter Strafe stellt – auch wenn sie in den ersten zwölf Wochen nach Beratung und unter bestimmten Bedingungen straffrei sind. Die Ärzteschaft spricht sich damit klar für eine rechtliche Gleichstellung von Schwangerschaftsabbrüchen mit anderen medizinischen Behandlungen aus und will so die medizinische Versorgung, die Sicherheit der Betroffenen und die Selbstbestimmung von Frauen stärken.

Historische Entwicklung und aktuelle Rechtslage

Der Paragraf 218 StGB, der Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich unter Strafe stellt, stammt aus dem 19. Jahrhundert und gilt als historisches Relikt. Zwar gibt es heute Ausnahmen: In den ersten zwölf Wochen nach einer Beratung sowie bei medizinischer oder kriminologischer Indikation ist ein Abbruch straffrei möglich. Dennoch bleibt der Eingriff formal eine Straftat – mit gravierenden Folgen für die medizinische Versorgung und die Betroffenen. Viele Ärzt:innen bieten aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung oder juristischen Risiken keine Schwangerschaftsabbrüche an. Besonders in ländlichen Regionen ist die Versorgungslücke groß, wie aktuelle Berichte zeigen (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung).

Forderungen des Deutschen Ärztetags: Rechtssicherheit und Entstigmatisierung

Der 128. Deutsche Ärztetag hat sich mit großer Mehrheit für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ausgesprochen. Die Delegierten fordern, Schwangerschaftsabbrüche nicht länger als Straftat zu werten, sondern als reguläre medizinische Leistung zu betrachten. Die Position der Bundesärztekammer ist klar: Sie setzt sich für eine moderne, frauenfreundliche Gesetzgebung ein, die die Selbstbestimmung und die Gesundheit von Frauen schützt.
Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, hat in diesem Zusammenhang wiederholt auf die schwierige Situation von Ärzt:innen hingewiesen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er:
„Die Kolleginnen und Kollegen haben es mit teilweise radikal auftretenden Aktivisten zu tun, die in der Nähe von Praxen teilweise wochenlang demonstrieren.“ Sie erhielten nicht nur beleidigende, sondern auch explizit bedrohliche E-Mails. Solche Proteste müssen eindeutig von legitimen politischen Demonstrationen unterschieden werden. „Denn das, was einige Kolleginnen und Kollegen erleben, geht über das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung weit hinaus.“

Versorgungslage und gesellschaftliche Auswirkungen

Die aktuelle Rechtslage hat erhebliche Auswirkungen auf die Versorgungssituation. Viele Praxen und Kliniken bieten keine Schwangerschaftsabbrüche an, aus Sorge vor Protesten, gesellschaftlicher Stigmatisierung oder rechtlichen Risiken. Besonders in ländlichen Regionen ist die Versorgungslücke groß: Frauen müssen oft weite Wege in Kauf nehmen, um eine geeignete Einrichtung zu finden. Viele Betroffene berichten von Unsicherheit und Angst, sowohl vor dem Eingriff selbst als auch vor den gesellschaftlichen Reaktionen.
Eine junge Frau schildert, wie sie sich nach der Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch allein gelassen fühlte. Andere berichten, dass sie sich über Monate hinweg mit Ängsten und Schuldgefühlen auseinandersetzen mussten, weil das Thema gesellschaftlich weiterhin tabuisiert wird. Viele suchen Unterstützung in anonymen Foren oder bei Beratungsstellen, da sie im persönlichen Umfeld auf Unverständnis stoßen.

Medizinische und ethische Aspekte

Schwangerschaftsabbrüche sind medizinisch sichere Eingriffe, wenn sie unter professionellen Bedingungen durchgeführt werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass ein Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ein grundlegendes Menschenrecht ist und die Gesundheit von Frauen schützt. Dennoch werden Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland weiterhin als Straftat geführt, was die medizinische Versorgung erschwert und die Betroffenen zusätzlich belastet.

Internationaler Vergleich und politische Debatte

Im internationalen Vergleich ist die deutsche Gesetzgebung restriktiver als in vielen anderen europäischen Ländern. In Ländern wie den Niederlanden, Frankreich oder Schweden sind Schwangerschaftsabbrüche bis zu einer bestimmten Schwangerschaftswoche legal und gesellschaftlich weitgehend akzeptiert. Die politische Debatte in Deutschland ist dagegen weiterhin von ideologischen Auseinandersetzungen geprägt. Während einige Parteien und gesellschaftliche Gruppen die Entkriminalisierung fordern, gibt es weiterhin Widerstand von konservativen und religiösen Kreisen.

Fazit

Der 128. Deutsche Ärztetag hat ein klares Signal gesetzt: Schwangerschaftsabbrüche sollen endlich entkriminalisiert und als reguläre medizinische Leistung anerkannt werden. Die Forderungen der Ärzteschaft sind ein wichtiger Schritt, um die Versorgungslücke zu schließen, die Selbstbestimmung von Frauen zu stärken und gesellschaftliche Stigmatisierung abzubauen. Die Politik ist nun aufgefordert, die Empfehlungen der Ärzteschaft ernst zu nehmen und die notwendigen rechtlichen Änderungen umzusetzen.

Quellen:
  • Tagesschau: Ärztepräsident fordert Schutz vor radikalen Abtreibungsgegnern
    https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/abtreibung-mediziner-recht-100.html
    (Abgerufen am 02.06.2025)
  • ZDF: Ärztepräsident fordert Schutz vor Abtreibungsgegnern
    https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/abtreibung-gegner-mediziner-schutz-100.html
    (Abgerufen am 02.06.2025)
  • Deutsches Ärzteblatt: Ärztetag für Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
    https://www.aerzteblatt.de/news/arztetag-fur-entkriminalisierung-von-schwangerschaftsabbruchen-746d75da-2153-4bd5-abfc-654756b07552
    (Abgerufen am 02.06.2025)
  • Redaktionsnetzwerk Deutschland (rnd): Ärztepräsident Reinhardt: „Die medizinische Versorgung ist Teamarbeit“
    https://www.rnd.de/politik/aerztepraesident-klaus-reinhardt-ein-weiter-so-ist-unmoeglich-4N26WFAJMNBXNJSEXDY5JEKREQ.html
    (Abgerufen am 02.06.2025)
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Schwangerschaftsabbruch
    https://www.familienplanung.de/schwangerschaftsabbruch/
    (Abgerufen am 02.06.2025)
  • Ärzte Zeitung: Mediziner besser vor Abtreibungsgegnern schützen!
    https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Aerztepraesident-Rheinhardt-Mediziner-muessen-besser-vor-Abtreibungsgegnern-geschuetzt-werden-445949.html
    (Abgerufen am 02.06.2025)
  • WHO: Abortion – Fact Sheet
    https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/abortion
    (Abgerufen am 02.06.2025)
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