Wenn Medikamente versagen – was jetzt hilft

Ein Arzt überreicht seinem Patienten verschreibungspflichtige Tabletten.

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, bei denen Antidepressiva oft die erste Behandlungslinie darstellen. Doch nicht alle Patient:innen profitieren gleichermaßen von dieser Therapie. Etwa ein Drittel der Betroffenen zeigt nach mehreren Wochen keine ausreichende Besserung – eine Situation, die Ärzt:innen vor komplexe Herausforderungen stellt. Prof. Dr. med. univ. Josef Jenewein, Ärztlicher Direktor der Privatklinik Hohenegg, unterstreicht die Bedeutung einer individuellen Therapieentscheidung bei Depressionen: „Antidepressiva sind ein wichtiger Baustein in der Behandlung von Menschen mit Depressionen. Je schwerer eine Depression ist, desto wichtiger ist die Rolle von Antidepressiva. Vor allem bei sehr starken depressiven Erkrankungen ist der Einsatz von Medikamenten enorm bedeutsam. Bei einer leichteren Ausprägung sind Antidepressiva jedoch nicht wirksamer als ein Placebo. Das bedeutet: Der Schweregrad einer Erkrankung ist mitentscheidend, ob und welche Antidepressiva verabreicht werden.“

Wie kann man in solchen Fällen vorgehen, um individuelle Therapieerfolge zu ermöglichen?

Frühe Bewertung und Ursachenanalyse

Gemäß der S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ sollte bereits vier Wochen nach Beginn einer antidepressiven Behandlung (bei älteren Patient:innen sechs Wochen) überprüft werden, ob ein therapeutisches Ansprechen erkennbar ist. Dabei wird nicht nur der klinische Zustand, etwa mittels Symptomskalen, bewertet, sondern auch die soziale Teilhabe und Lebensqualität der Patient:innen berücksichtigt. Sollte keine deutliche Verbesserung der Symptome eintreten, ist es zunächst wichtig, mögliche Gründe für das Ausbleiben der Wirksamkeit zu prüfen. Dazu zählen unter anderem eine unzureichende Medikamenteneinnahme, sei es durch Nichtbefolgung der Dosierungsanweisungen oder vollständiges Auslassen der Einnahme, sowie unerwünschte Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen gleichzeitig eingenommenen Arzneimitteln.

Auch kann eine falsche Auswahl des Antidepressivums vorliegen, die entweder auf einer ungenauen Diagnosestellung oder individuellen Faktoren beruht. Zusätzlich sollten organische Erkrankungen, psychiatrische Begleiterkrankungen oder psychosoziale Belastungen als Ursachen berücksichtigt werden. Eine sorgfältige und umfassende Diagnostik in diesen Bereichen ist entscheidend, um unnötige oder unangemessene Therapiewechsel zu vermeiden und somit die Grundlage für eine individuell angepasste und effektive Behandlung zu schaffen.

Weichen neu stellen: Strategien nach fehlender Besserung bei Depressionen

Bleibt trotz medikamentöser und psychotherapeutischer Basisbehandlung keine deutliche Besserung der depressiven Symptome, empfiehlt die S3-Leitlinie zunächst die Kombination von Psychotherapie – etwa kognitiver Verhaltenstherapie – mit einer medikamentösen Behandlung. Bei Ablehnung weiterer Medikamente durch die Patienten ist auch eine alleinige Psychotherapie eine sinnvolle Alternative.

Darüber hinaus werden verschiedene Augmentationsmöglichkeiten empfohlen: Die Zusatzgabe von Antipsychotika der zweiten Generation, wie dem zugelassenen Quetiapin sowie off-label eingesetzten Substanzen wie Aripiprazol, Olanzapin oder Risperidon, kann in niedrigen Dosierungen die antidepressive Wirkung verstärken. Lithiumaugmentation ist ebenfalls empfehlenswert, erfordert jedoch sorgfältiges Monitoring der Neben- und Wechselwirkungen. Ein rasches Ansprechen zeigt sich häufig; bei positiver Reaktion wird eine Erhaltungstherapie über mindestens sechs Monate empfohlen.

Weiterhin kann die Kombination zweier Antidepressiva verschiedener Klassen die Wirksamkeit steigern, beispielsweise SSRI, SNRI oder trizyklische Antidepressiva gemeinsam mit Mianserin, Mirtazapin oder Trazodon. Ein einmaliger Wechsel ("Switch") zu einem Antidepressivum mit anderem Wirkmechanismus ist möglich, gilt aber aufgrund der niedrigeren Evidenzqualität als nachrangige Strategie.

In Einzelfällen kann ein vorübergehender Verzicht auf Medikamente („Drug Holiday“) mit nicht-medikamentösen Therapien kombiniert werden, ohne alle anderen Optionen ausgeschöpft haben zu müssen. Intranasales Esketamin wird bislang zurückhaltend empfohlen. Bei schweren oder therapieresistenten Depressionen sind Elektrokonvulsionstherapie (EKT) – besonders bei älteren oder psychotischen Patient:innen – und transkranielle Magnetstimulation (rTMS) bewährte ergänzende Verfahren. Diese Optionen erweitern das Therapieangebot bei komplexen Verläufen.

Einbindung in den klinischen Alltag: Praktische Umsetzung und Monitoring

Ein strukturierter Verlauf, dokumentiert durch regelmäßige Assessments und klar definierte Zeitpunkte für Evaluierungen, erleichtert die individuelle Anpassung. Patient:innen sollten aktiv in Entscheidungen eingebunden und umfassend über mögliche Schritte aufgeklärt werden. So kann etwa über Therapiezielvereinbarungen die Motivation gesteigert und die Adhärenz verbessert werden. Teamorientierte Versorgung ermöglicht zudem eine bessere Erkennung von psychosozialen Faktoren, die das Ansprechen beeinflussen können. Integrierte Versorgungsmodelle mit Fachärzt:innen, Psychotherapeut:innen und Pflegefachkräften haben hier einen klaren Vorteil.

Fazit: Maßgeschneiderte Therapiestrategien für komplexe Fälle

Der Umgang mit Patient:innen, die nicht auf Antidepressiva ansprechen, erfordert systematisches Vorgehen und individuelle Anpassungen. Die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ bietet einen klaren Rahmen für Diagnostik, Therapiegestaltung und Monitoring, der sowohl medikamentöse als auch psychotherapeutische Maßnahmen integriert und damit die Versorgungsqualität deutlich verbessert. Ein patientenzentrierter Ansatz fordert die Einbindung der Betroffenen sowie eine kontinuierliche Fortschreibung des Therapiekonzepts, um bestmögliche Therapieerfolge zu erzielen.

Quellen:

SpringerMedizin: Antidepressiva: Mein Patient spricht nicht an – was jetzt? 2023. https://www.springermedizin.de/antidepressiva--mein-patient-spricht-nicht-an---was-jetzt--/25371134 (abgerufen am 06.08.2025).

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. 2022. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-005 (abgerufen am 06.08.2025).

Privatklinik Hohenegg: Können Antidepressiva Depression heilen? Zwei Hohenegger Experten im Interview. 2023. https://magazin.hohenegg.ch/2023/03/22/koennen-antidepressiva-depression-heilen-zwei-hohenegger-experten-im-interview/ (abgerufen am 06.08.2025).

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