Grüner Star: Der stille Dieb der Sehkraft – Wie Früherkennung das Augenlicht rettet

Ein unsichtbarer Feind: Wenn der Augeninnendruck den Sehnerv zerstört

Das Tückische am Glaukom ist sein lautloser Verlauf. Anders als bei einer Netzhautablösung oder einer Entzündung gibt es keine Warnsignale wie Schmerzen oder plötzliche Sehstörungen. Schuld ist meist ein erhöhter Druck im Auge, der den empfindlichen Sehnerv langsam absterben lässt. „Stellen Sie sich einen Gartenschlauch vor, der unter zu hohem Wasserdruck steht“, erklärt Prof. Dr. Anselm Jünemann, Direktor der Augenklinik Rostock. „Irgendwann reißt das Material – beim Sehnerv bedeutet das: unwiderruflicher Zellverlust.“

Doch nicht immer ist der Augeninnendruck der alleinige Übeltäter. Bei etwa einem Drittel der Betroffenen liegt ein sogenanntes Normaldruckglaukom vor. Hier attackieren Durchblutungsstörungen den Sehnerv, selbst wenn der Druck im Normbereich liegt. „Das macht die Diagnose noch komplexer“, sagt Prof. Dr. Norbert Pfeiffer, ehemaliger Direktor der Augenklinik Mainz. „Wir müssen nicht nur den Druck messen, sondern auch die Struktur des Nervs millimetergenau analysieren.“

Die Risikogruppe: Wer die Gefahr kennen sollte

Die Geschichte von Klaus R. (58) aus Hamburg ist typisch. Als leidenschaftlicher Marathonläufer fühlte er sich gesund – bis bei einer Routineuntersuchung ein verdächtiger Befund auftauchte. „Mein Vater erblindete mit 70, aber ich dachte: Mir passiert das nicht“, erzählt er. Ein Fehler, wie Prof. Jünemann betont: „Wer Verwandte mit Glaukom hat, trägt ein vierfach erhöhtes Risiko. Kombiniert mit Bluthochdruck oder Diabetes wird es gefährlich.“  
Tatsächlich spielen mehrere Faktoren zusammen:

  • Alter: Ab 40 verdoppelt sich das Risiko pro Lebensdekade.  
  • Ethnische Herkunft: Menschen afrikanischer Abstammung erkranken häufiger und oft aggressiver.
  • Extremsport: Auch scheinbar Harmloses wie Yoga mit Kopfstand-Positionen kann bei Engwinkelglaukomen plötzlich den Druck in die Höhe treiben.  

„Viele Patienten kommen erst, wenn sie beim Autofahren plötzlich Fußgänger übersehen“, warnt Prof. Dr. Lutz Pillunat von der Dresdner Augenklinik. „Dann ist der Schaden bereits irreversibel.“

Moderne Detektivarbeit: Wie Ärzte dem Glaukom auf die Spur kommen

Die gute Nachricht: Moderne Technologien machen den schleichenden Sehnerv-Schaden heute sichtbar, lange bevor der Patient ihn bemerkt. Ein Beispiel ist die Optische Kohärenztomografie (OCT), die Schicht für Schicht durch das Nervengewebe „scannt“. „Die OCT zeigt uns Verdünnungen der Nervenfasern, als würde man einen verwitterten Seilstrang unter dem Mikroskop betrachten“, beschreibt Prof. Pfeiffer.

Doch die Diagnostik bleibt eine Detektivarbeit. So berichtet Prof. Dr. Franz Grehn, Autor des Standardwerks „Glaukom: Diagnostik und Therapie“, von einer 45-jährigen Patientin, deren Sehnerv auffällig aussah – obwohl alle Druckwerte normal waren. Erst eine genaue Analyse des Blutflusses enthüllte Mangeldurchblutungen. „Ohne diese Kombination aus High-Tech und klinischer Erfahrung hätten wir den Fall übersehen“, so Grehn.  

Therapie: Ein Wettlauf gegen die Zeit

Die Behandlung des Glaukoms ist ein Balanceakt. Medikamente wie Prostaglandin-Tropfen senken den Druck, indem sie den Abfluss des Kammerwassers verbessern. Doch nicht jeder verträgt sie. Bei manchen Patienten verfärben sich die Iris oder die Wimpern dauerhaft – ein kosmetischer Nebeneffekt, der vor allem junge Frauen belastet.

Laser-OPs und minimalinvasive Verfahren wie die Trabekulektomie bieten Alternativen. Doch selbst die beste Therapie scheitert, wenn Patienten sie nicht konsequent umsetzen. „Studien zeigen, dass bis zu 50 % der Betroffenen ihre Tropfen falsch anwenden oder ganz weglassen“, erklärt Prof. Pillunat. „Manche aus Vergesslichkeit, andere aus Angst vor Nebenwirkungen.“

Prävention: Was jeder selbst tun kann

Während Genetik und Alter Schicksalsfaktoren sind, lässt sich das Risiko durch Lebensstil-Anpassungen mindern. So zeigte eine Studie der University of California, dass tägliches Joggen den Augeninnendruck um bis zu 20 % reduziert – effektiver als manches Medikament. Auch Nikotinverzicht spielt eine Rolle: Rauchen verengt die Blutgefäße und verschlimmert so die Durchblutung des Sehnervs.

Interessant ist die Rolle der Ernährung. Zwar gibt es keine „Glaukom-Diät“, aber Forscher der Harvard Medical School fanden heraus, dass grünes Blattgemüse (reich an Nitraten) und Beeren (Antioxidantien) möglicherweise schützend wirken. „Es ist kein Zufall, dass in Ländern mit mediterraner Küche seltener schwere Verläufe auftreten“, spekuliert Prof. Pfeiffer.

Die Zukunft: KI als Frühwarnsystem

Revolutionär könnte die Rolle Künstlicher Intelligenz werden. Start-ups wie das deutsche Unternehmen „RetInSight“ trainieren Algorithmen darauf, OCT-Bilder automatisch auf Frühzeichen des Glaukoms zu analysieren. „KI kann Muster erkennen, die selbst erfahrene Ärzte übersehen“, erklärt Dr. Lena Maier, Mitgründerin des Unternehmens. Erste Pilotprojekte in Augenkliniken zeigen eine Trefferquote von 94 %.

Fazit: Warum Vorsorge kein Luxus ist

Das Drama des Glaukoms liegt in seiner Banalität: Ein zehnminütiger Check beim Augenarzt genügt, um die Gefahr zu erkennen. Doch in Deutschland übernehmen die Kassen die Kosten erst, wenn Symptome auftreten – zu spät, wie Experten kritisieren. „Wir brauchen ein Umdenken“, fordert Prof. Jünemann. „Jeder über 40 mit Risikofaktoren sollte alle zwei Jahre eine OCT-Untersuchung erhalten. Das würde Tausende vor Erblindung bewahren.“

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Der Grüne Star ist kein unbesiegbares Schicksal. Mit Wachsamkeit, moderner Medizin und dem Wissen um die eigenen Risiken lässt sich die unsichtbare Gefahr bannen. Oder wie es Prof. Grehn formuliert: „Das Auge ist kein verschließbarer Wasserhahn. Wer den Druck kennt, kann gegensteuern – bevor der Schaden entsteht.“

Quellen:
  1. Experteninterviews und Publikationen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG)  
  2. Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ), Originalartikel: Grüner Star: Früh erkannt – Gefahr gebannt (https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-13-2023/gruener-star-frueh-erkannt-gefahr-gebannt)  
  3. DOG-Leitlinie Glaukom (2022)  
  4. Publikationen von Prof. Dr. Anselm Jünemann (Universitätsmedizin Rostock)  
  5. Grehn, F.: Glaukom: Diagnostik und Therapie (Springer, 2018)  
  6. Pillunat, L. et al.: Compliance in der Glaukomtherapie (Der Ophthalmologe, 2021)  
  7. Studien der University of California und Harvard Medical School  
  8. Unternehmensangaben von RetInSight  
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