Antidepressiva im Fokus: Leitlinienbasierte Antworten
Depressive Erkrankungen gehören zu den großen Herausforderungen der Medizin. Trotz der verfügbaren Therapien ist es für Betroffene und Behandelnde nicht immer leicht, den besten individuellen Weg zu finden. Verschiedene Studien und die aktuelle S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ geben Orientierung, unter welchen Voraussetzungen Medikamente zum Einsatz kommen sollten, welche Risiken zu beachten sind und wie die Behandlung langfristig gestaltet werden kann (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-005).
Wann Medikamente wirklich angezeigt sind
Bei der Diagnose einer leichten depressiven Episode raten Expert:innen zunächst zu niedrigschwelligen Interventionen. Dazu gehören internet- oder mobilbasierte Anwendungen, Psychoedukation sowie angeleitete Selbsthilfe. Ziel dieser Ansätze ist vor allem die Stärkung von Selbstmanagement, Resilienz und Bewältigungsstrategien. Erst wenn diese Maßnahmen nicht ausreichend wirken oder ein erhöhtes Risiko für Chronifizierung besteht, wird über den Einsatz eines Antidepressivums nachgedacht. Auch wenn Patient:innen bereits in früheren Episoden gut auf Medikamente angesprochen haben, kann eine Verordnung erwogen werden.
Bei mittelgradigen Depressionen gelten Psychotherapie und Pharmakotherapie als gleichwertige Behandlungsoptionen. Zusätzliche Unterstützung kann durch Apps oder Psychoedukationsprogramme erfolgen. Stehen Patient:innen vor einer schweren depressiven Episode, empfehlen die Leitlinien eine Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva, ergänzt durch Psychoedukation.
Ein spezieller Fall betrifft die saisonal abhängige Depression (SAD). Hier zeigt die Lichttherapie gute Wirkung und wird ausdrücklich empfohlen. Bei nicht-saisonalen Formen ist die Evidenz jedoch deutlich schwächer. Begleitend können Bewegung, Sport oder Wachtherapie zusätzliche Unterstützung leisten. Unverzichtbar bleibt in jedem Fall: Zunächst muss eine exakte Diagnostik nach ICD-Kriterien erfolgen. Differentialdiagnostische Abklärungen sind wichtig, um mögliche körperliche Ursachen wie Tumoren, Infektionen, endokrinologische Erkrankungen oder Medikamentennebenwirkungen auszuschließen.
Welche Kontraindikationen müssen beachtet werden?
Die Bandbreite antidepressiver Substanzen ist groß – von SSRI und SNRI über trizyklische Antidepressiva (TZA) bis hin zu MAO-Hemmern oder pflanzlichen Präparaten wie Johanniskraut. Entscheidend für die sichere Therapie ist die genaue Prüfung möglicher Kontraindikationen.
- SSRI und SNRI: Wirkstoffe wie Citalopram, Fluoxetin, Sertralin, Venlafaxin oder Duloxetin sind kontraindiziert bei Patient*innen mit verlängerter QT-Zeit oder erhöhter Blutungsneigung.
- Lebererkrankungen: Venlafaxin, Duloxetin, Agomelatin und Tranylcypromin dürfen bei schwerer Leberfunktionsstörung nicht eingesetzt werden. Tranylcypromin ist zusätzlich bei schwerer Hypertonie, Phäochromozytom und rupturgefährdeten Aneurysmen verboten.
- Nieren- und Leberfunktionsstörungen: Mianserin und Mirtazapin sollten hier nicht angewendet werden.
- Epilepsie und Hypertonie: Für Bupropion besteht eine klare Kontraindikation. Bei Suchterkrankungen darf Tianeptin nicht verordnet werden.
- Johanniskraut: Auch pflanzliche Präparate sind nicht risikofrei. Sie sind kontraindiziert bei Patient:innen, die Immunsuppressiva, Virustatika oder Zytostatika benötigen (z. B. nach Transplantationen, bei HIV oder Krebserkrankungen).
Wirksamkeit sichern und Rückfälle vermeiden
Nicht alle Patient:innen sprechen gleich gut auf eine antidepressive Behandlung an – die Ansprechraten liegen bei 50–70%. Damit bleibt ein relevanter Anteil ohne ausreichenden Nutzen. Umso wichtiger ist es, bei erfolgreicher Therapie konsequent auf Kontinuität zu setzen. Leitlinien empfehlen, das Medikament, das in der Akutphase wirksam war, in der Erhaltungstherapie über sechs bis zwölf Monate in gleicher Dosierung fortzuführen. Dies dient der Stabilisierung des Erfolges und der Rückfallvermeidung.
Ein direkter Vergleich zeigt: Die Wirksamkeit kann sowohl bei synthetischen als auch bei pflanzlichen Präparaten ähnlich hoch sein. In einer Studie sprachen 54,2% der Patient:innen mit mittelschwerer Depression nach sechs Wochen auf einen hochdosierten Johanniskraut-Extrakt (Laif®900, 900 mg täglich) an, 55,9% auf Citalopram (20 mg täglich) – nahezu identische Ergebnisse.
Für die Langzeitprophylaxe raten die Leitlinien bei zwei bis drei depressiven Episoden innerhalb von fünf Jahren zu einer mindestens zweijährigen Weiterbehandlung, ebenfalls in der Dosis der Akuttherapie. Dabei ist besonders auf ein Nebenwirkungsprofil zu achten, das eine gute Adhärenz fördert, damit Patient:innen ihre Medikation konsequent fortsetzen können.
Ambulante oder stationäre Versorgung?
Die Wahl zwischen ambulanter und stationärer Behandlung ist laut Leitlinie eine gemeinsame Entscheidung zwischen Patient:in und Behandelnden. Viele Betroffene bevorzugen die ambulante Versorgung, die in haus- oder fachärztlicher Praxis erfolgt. Eine stationäre Einweisung wird hingegen unumgänglich, wenn ein akuter Notfall vorliegt – beispielsweise bei Selbst- oder Fremdgefährdung, depressivem Stupor oder nicht einschätzbarer Suizidalität. Weitere Gründe sind mangelnde Wirkung ambulanter Therapien, drohende soziale Isolation oder psychotische Symptome im Rahmen der Depression.
Fazit
Depressionen erfordern eine sorgfältig abgestimmte, individuelle Behandlung – einfache Standardlösungen gibt es nicht. Antidepressiva sind wertvolle Werkzeuge, entfalten ihre Wirkung jedoch nur bei einem Teil der Patient*innen. Umso wichtiger ist es, Nutzen, Risiken und Kontraindikationen genau abzuwägen und die Therapie eng an den Leitlinien auszurichten. Wer auf eine Medikation anspricht, sollte sie konsequent und ausreichend lange fortführen, um Rückfälle zu verhindern. Zugleich gilt: Nicht jedes Präparat passt zu jedem Menschen – die Entscheidung für oder gegen ein Medikament muss immer Teil eines gemeinsamen, informierten Therapieplans sein. Nur so lässt sich eine Behandlung erreichen, die wirksam, sicher und tragfähig ist.
Auch interessant:
Die Depression: Zahlen, Daten & Fakten (https://www.springermedizin.de/die-depression--zahlen--daten---fakten/18723202)
Quellen:
Springer Medizin: Antidepressiva: Antworten auf 5 entscheidende Fragen. 2024. https://www.springermedizin.de/antidepressiva--antworten-auf-5-entscheidende-fragen/26940810 (abgerufen am 01.10.2025)
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. 2022. Registernummer: nvl-005. Version 3.2. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-005 (abgerufen am 30.09.2025).
Kresimon, J. et al. (2012): Versorgung von Patienten mit mittelschwerer Depression unter Therapie mit Hypericum-Extrakt STW3-VI im Vergleich zu selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) im Praxisalltag. Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement. DOI: 10.1055/s-0031-1299123
Gastpar, M. et al. (2006): Comparative Efficacy and Safety of a Once-Daily Dosage of Hypericum Extract STW3-VI and Citalopram in Patients with Moderate Depression: A Double-Blind, Randomised, Multicentre, Placebo-Controlled Study. Pharmacopsychiatry. DOI: 10.1055/s-2006-931544
Gehrisch, J., et al. (2018): Leitliniengerechte Pharmakotherapie der Depression. Arzneiverordnung in der Praxis. https://www.akdae.de/arzneimitteltherapie/arzneiverordnung-in-der-praxis/ausgaben-archiv/ausgaben-ab-2015/ausgabe/artikel?tx_lnsissuearchive_articleshow%5Baction%5D=show&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Barticle%5D=4571&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Bcontroller%5D=Article&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Bissue%5D=19&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Byear%5D=2018&cHash=f17768c6591ce79932e29c8f08c65961 (abgerufen am 01.10.2025)
Bayer Vital GmbH (2022): Fachinformation Laif® 900 Balance, Stand Januar 2022. https://www.fachinfo.de/fi/pdf/022338/laif-r-900-balance (abgerufen am 01.10.2025)
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