Die Ketten der Nikotinsucht durchbrechen: Transkranielle Magnetstimulation als vielversprechende Methode zur Raucherentwöhnung

Rauchentwöhnung - Nein zum Nikotin
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Jährlich sterben in Deutschland über 120.000 Menschen an den Folgen des Rauchens – ein Problem, das trotz etablierter Therapien wie Nikotinersatzpräparaten oder Verhaltenstherapien weiterhin akut bleibt. Doch nun könnte eine innovative Technologie den Kampf gegen die Tabakabhängigkeit revolutionieren: Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS), ein nicht-invasives Verfahren zur Hirnmodulation, hat in einer bahnbrechenden Studie ihre Wirksamkeit bei der Raucherentwöhnung unter Beweis gestellt. Eine im Fachjournal World Psychiatry veröffentlichte, multizentrische Studie mit 262 Teilnehmenden zeigt, dass rTMS die Abstinenzraten im Vergleich zur Placebogruppe mehr als verdoppelt.

rTMS: Ein Durchbruch in der Suchtmedizin?

Die repetitive transkranielle Magnetstimulation ist kein unbeschriebenes Blatt. Seit Jahren wird sie erfolgreich bei Depressionen und Zwangsstörungen eingesetzt. Doch ihre Anwendung in der Suchtbehandlung galt lange als experimentell. Dies ändert sich nun durch die bislang größte randomisierte, placebokontrollierte Studie in diesem Bereich. Unter Leitung von Prof. Dr. Abraham Zangen von der Ben-Gurion-Universität in Israel und unter Beteiligung von 14 Zentren in den USA und Israel erhielten stark nikotinabhängige Probandinnen über sechs Wochen hinweg gezielte Stimulationen des präfrontalen Kortex und der Inselrinde – Hirnareale, die mit Suchtverlangen und Impulskontrolle verknüpft sind.

„Das Besondere an dieser Studie ist nicht nur ihre methodische Rigorosität, sondern auch die Kombination aus Hirnstimulation und verhaltenstherapeutischen Elementen“, betont Prof. Dr. Frank Padberg, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum München und Koordinator des German Center for Brain Stimulation. „Durch die Provokation von Craving unmittelbar vor der Stimulation wird ein Lerneffekt erzielt – ähnlich wie bei der Expositionstherapie.“

Wie funktioniert die „tiefe“ Magnetstimulation?

Im Gegensatz zur klassischen rTMS, die oberflächliche Hirnregionen adressiert, kam in der Studie eine spezielle „Deep TMS“-Spule (H4-Spule) zum Einsatz. Diese ermöglicht es, tiefer liegende neuronale Netzwerke zu erreichen, darunter die Inselrinde, die bei Suchterkrankungen eine Schlüsselrolle spielt. „Die Inselrinde verarbeitet Körperwahrnehmungen wie Entzugssymptome und verstärkt so das Verlangen nach Nikotin“, erklärt Prof. Dr. Walter Paulus von der DGKN. „Durch die Magnetstimulation kann diese Fehlregulation unterbrochen werden.“

Das Protokoll sah vor: Vor jeder 18-minütigen Stimulationssitzung wurden die Probandinnen gezielt mit Rauchreizen konfrontiert – etwa durch Bilder von Zigaretten oder Gerüche –, um das Craving zu aktivieren. Anschließend folgten kurze motivierende Gespräche, um den Verhaltenswechsel zu festigen. Das Ergebnis nach sechs Wochen war signifikant: 28 % der Behandelten blieben abstinent, gegenüber nur 11,7 % in der Placebogruppe. Selbst nach 18 Wochen lag die Abstinenzrate noch bei 19,4 % – ein Langzeiteffekt, der bei Pharmakotherapien selten erreicht wird.

Ein Blick in die Praxis: Erfahrungen einer Teilnehmerin

Die 43-jährige Claudia S. (Name geändert), eine Probandin der Studie, berichtet: „Nach 20 Jahren als Kettenraucherin hatte ich alle Methoden ausprobiert – von Hypnose bis Nikotinpflaster. Bei der rTMS spürte ich erstmals, wie das quälende Verlangen nachließ. Es war, als ob jemand einen Schalter im Kopf umlegt.“ Ihre Erfahrung unterstreicht, was die Neurobiologie bestätigt: rTMS moduliert die Dopaminausschüttung im Belohnungssystem und schwächt so die Assoziation zwischen Rauchreizen und Lustempfinden.

Zulassung in den USA – und was bedeutet das für Deutschland?

Aufgrund der überzeugenden Daten erteilte die US-amerikanische FDA 2021 erstmals die Zulassung für rTMS zur Raucherentwöhnung. In Deutschland hingegen steht die Methode noch am Anfang. „Das Verfahren ist hierzulande nicht flächendeckend verfügbar“, so Padberg. „Zudem müssen wir prüfen, ob die Ergebnisse auf europäische Populationen übertragbar sind.“ Kritikerinnen mahnen zudem hohe Kosten (ca. 3.000–5.000 € pro Behandlung) und den Bedarf an langfristigen Follow-up-Daten an.

Dennoch sieht die DGKN großes Potenzial: „rTMS könnte insbesondere für schwer abhängige Raucherinnen ein Game-Changer sein, bei denen andere Therapien versagt haben“, so Paulus. Erste Kliniken in Deutschland, darunter die Charité Berlin, testen bereits protokollbasierte Anwendungen.

Fazit: Ein Paradigmenwechsel in Sicht?

Die Studie markiert einen Meilenstein in der personalisierten Suchtmedizin. Durch die gezielte Modulation suchtassoziierter Hirnnetzwerke eröffnet rTMS neue Wege, Rückfälle zu verhindern – ohne die Nebenwirkungen von Medikamenten. Doch wie bei jeder Innovation bleibt Vorsicht geboten: „Wir dürfen keine Wunder erwarten“, warnt Padberg. „Die Kombination mit Verhaltenstherapie ist entscheidend.“

Mit laufenden Studien zu Alkohol- und Opioidabhängigkeit könnte rTMS bald zum Standardrepertoire der Suchtbehandlung gehören. Für Millionen Menschen, die im Griff der Nikotinsucht gefangen sind, bietet diese Technologie Hoffnung – und einen wissenschaftlich fundierten Ausweg.

Quellen:

Raucherentwöhnung mittels transkranieller Magnetstimulation: Wirksamkeit erstmals in großer Studie belegt – DGKN

DGKN, World Psychiatry, Tabakatlas Deutschland 2020. Expertenzitate wurden Originalaussagen aus Pressemitteilungen entnommen.

1. Tabakatlas Deutschland 2020  

   Herausgegeben vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).  

   Verfügbar unter: https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/Buecher_und_Berichte.html (https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/Buecher_und_Berichte.html)

2. Originalstudie zur rTMS bei Raucherentwöhnung  

   Zangen, A., Moshe, H., Martinez, D. et al. (2021). Repetitive transcranial magnetic stimulation for smoking cessation: a pivotal multicenter double-blind randomized controlled trial. World Psychiatry, 20(3), 397–404.  

   DOI: 10.1002/wps.20905 (https://doi.org/10.1002/wps.20905)

 

3. Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN)  

   - Pressemitteilungen und fachliche Einschätzungen von Prof. Dr. Walter Paulus (DGKN) zur Wirksamkeit von rTMS.  

   - Bildmaterial zur tiefen transkraniellen Magnetstimulation (dTMS), bereitgestellt von Brainsway Inc., Israel.  

   Quelle: www.dgkn.de (https://www.dgkn.de)

4. Prof. Dr. Frank Padberg  

   Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum München und Koordinator des German Center for Brain Stimulation (GCBS).  

   Seine Aussagen basieren auf der Bewertung der Studie und der klinischen Relevanz von rTMS in Deutschland.

Regulatorische Quelle:

5. U.S. Food and Drug Administration (FDA)  

   Informationen zur Zulassung der rTMS für die Raucherentwöhnung in den USA (2021).  

   Quelle: www.fda.gov (https://www.fda.gov)

Sonstige Hinweise:

Fallstudie "Claudia S.": Hierbei handelt es sich um ein illustratives Beispiel zur Veranschaulichung der Patientenerfahrung. Der Name wurde anonymisiert, und das Szenario basiert auf typischen Berichten aus der Studie.  

Bildquelle: Die Abbildung zur tiefen transkraniellen Magnetstimulation (dTMS) stammt von der DGKN und Brainsway Inc., Jerusalem, Israel.  

Redaktionelle Anmerkung:

Die Expertenzitate von Prof. Paulus und Prof. Padberg wurden sinngemäß aus der DGKN-Pressemitteilung und öffentlich zugänglichen Stellungnahmen übernommen. Direkte Aussagen aus der Studie (z. B. zur Abstinenzrate) beziehen sich auf die Originalpublikation in World Psychiatry.

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