Aus Plastikmüll wird Medizin: Wie Bakterien Paracetamol aus PET-Flaschen erzeugen

In einem großen Behälter liegen viele zerknautschte PET-Flaschen, bereit für den Müll. Foto von tanvi sharma auf Unsplash

Die stetig wachsende Menge an Plastikabfällen und der hohe Energiebedarf der chemischen Industrie stellen weltweit große Herausforderungen dar. Insbesondere die Herstellung von Medikamenten wie Paracetamol basiert bislang überwiegend auf fossilen Rohstoffen. Ein Team um Dr. Stephen Wallace von der University of Edinburgh hat nun einen neuartigen Weg gefunden, aus gebrauchten PET-Flaschen mithilfe gentechnisch veränderter Bakterien Paracetamol zu produzieren. Die Ergebnisse dieser Studie wurden in Nature Chemistry veröffentlicht (DOI: 10.1038/s41557-025-01845-5).

Vom Abfallprodukt zum Wirkstoff: Der neue Herstellungsprozess

Paracetamol wird bisher meist aus Erdöl gewonnen, was mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden ist. Der neue Ansatz nutzt stattdessen alte PET-Flaschen, wie sie häufig für Getränkeverpackungen verwendet werden. Im Labor wurde das PET zunächst chemisch in Esterverbindungen zerlegt. Diese Verbindungen wurden anschließend in einem Nährmedium zusammen mit gentechnisch veränderten Escherichia coli Bakterien (E. coli) umgesetzt. Dabei entstand p-Aminobenzoesäure (PABA), eine wichtige Vorstufe für Paracetamol. Der dafür eingesetzte Lossen-Abbau läuft normalerweise unter Bedingungen ab, die für Bakterien schädlich sind. Den Forschenden gelang es jedoch, die Bedingungen so anzupassen, dass die Bakterien nicht beeinträchtigt wurden und weiterarbeiten konnten.

Ein Beispiel aus dem Labor verdeutlicht das Potenzial: Aus einer gewöhnlichen PET-Flasche konnte innerhalb eines Tages bei Raumtemperatur Paracetamol gewonnen werden. Die Umwandlungsrate lag bei beeindruckenden 92 Prozent.

Gentechnisch veränderte Mikroorganismen als Schlüssel

Der Erfolg des Verfahrens beruht auf der gezielten genetischen Veränderung der eingesetzten Bakterien. Die Forschenden ergänzten das Erbgut der E. coli mit Genen aus dem Champignon Agaricus bisporus und dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa. Dadurch waren die Mikroorganismen in der Lage, aus der entstandenen PABA den Arzneistoff Paracetamol zu produzieren. Dr. Stephen Wallace betont in einer Pressemitteilung, dass PET-Kunststoff nicht nur als Abfall betrachtet werden sollte, sondern als Ausgangsstoff für wertvolle Produkte dienen kann, darunter auch Medikamente. In weiteren Versuchen konnten verschiedene PET-Abfallprodukte erfolgreich in Paracetamol umgewandelt werden. Dies zeigt, dass das Verfahren an unterschiedliche Ausgangsstoffe angepasst werden kann und somit auch für eine industrielle Umsetzung geeignet ist.

Nachhaltigkeit und Zukunftsperspektiven

Die Kombination aus chemischen und biologischen Prozessen eröffnet neue Möglichkeiten für eine umweltfreundlichere Produktion von Arzneimitteln. Die Herstellung von Paracetamol aus PET-Abfällen verursacht kaum CO₂-Emissionen und verringert die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Dr. Stephen Wallace stehen damit im Kontext weiterer aktueller Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet. So beschreibt das Team um Prof. Dr. Matthew Wook Chang von der National University of Singapore in einer im selben Jahr erschienenen Studie, wie biokompatible chemische Reaktionen gezielt genutzt werden können, um Kunststoffabfälle in wertvolle chemische Produkte umzuwandeln (Nature Chemistry, 2025; DOI: 10.1038/s41557-025-01863-3). Während die Studie aus Edinburgh die praktische Umsetzung der Paracetamol-Synthese aus PET demonstriert, liefert die Publikation von Chang und Kollegen wichtige methodische Grundlagen und zeigt das breite Potenzial biokompatibler Verfahren für nachhaltige Recycling- und Produktionsprozesse auf. Beide Arbeiten verdeutlichen gemeinsam, wie innovative Verknüpfungen von Biotechnologie und Chemie neue Wege für das Upcycling von Kunststoffabfällen und die Herstellung komplexer Moleküle eröffnen können.

Fazit: Nachhaltige Innovation für Umwelt und Gesundheit

Die Entwicklung, PET-Abfälle mithilfe von gentechnisch veränderten Bakterien in Paracetamol umzuwandeln, stellt einen wichtigen Fortschritt für eine nachhaltige Pharmaindustrie dar. Das Verfahren verbindet Umweltschutz mit medizinischem Nutzen und könnte die Herstellung wichtiger Medikamente revolutionieren. Die nächsten Schritte liegen in der industriellen Umsetzung und der Weiterentwicklung ähnlicher Verfahren für andere Wirkstoffe. Damit diese Innovation sicher und effektiv in die Praxis überführt werden kann, ist eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft, Industrie und Behörden unerlässlich. Die industrielle Anwendung solcher Methoden bietet nicht nur die Chance, die Produktion von Medikamenten nachhaltiger zu gestalten, sondern könnte auch einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung des globalen Plastikmüllproblems leisten.

Quellen:
  • Johnson, N. W., et al. "A Biocompatible Lossen Rearrangement in Escherichia coli." Nature Chemistry, 2025, https://doi.org/10.1038/s41557-025-01845-5.
  • Soon, W. L., et al. "New-to-Nature Biocompatible Chemistry for Plastic Waste Upcycling." Nature Chemistry, 2025, https://doi.org/10.1038/s41557-025-01863-3.
  • Deutsches Ärzteblatt: Bakterien helfen bei Herstellung von Paracetamol aus alten PET-Flaschen. 2025. https://www.aerzteblatt.de/news/rubriken/medizin/bakterien-helfen-bei-herstellung-von-paracetamol-aus-alten-pet-flaschen-41d4c40f-0682-4af5-9940-5d6d19798354 (abgerufen am 28.06.2025).
  • Universität Edinburgh: Microbes transform plastic waste into paracetamol. 2025. https://www.ed.ac.uk/news/microbes-transform-plastic-waste-into-paracetamol (abgerufen am 28.06.2025).
Auch interessant:
Bild zum Artikel„Johanniskraut als natürliche Alternative zur medikamentösen Therapie bei leichten Depressionen“

Johanniskraut (Hypericum perforatum) hat sich in den letzten Jahren als natürliche Option zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen etabliert. Seine Wirksamkeit beruht vor allem auf den enthaltenen Hypericinen und Hyperforin, die neurobiologische Prozesse beeinflussen.

Bild zum Artikel„Pandemie-Effekt: Deutlicher Anstieg der Todesfälle durch alkoholbedingte Lebererkrankungen in den USA“

Die Sterblichkeit durch alkoholbedingte Lebererkrankungen hat sich in den USA während der COVID-19-Pandemie fast verdoppelt. Besonders Frauen und jüngere Erwachsene sind betroffen – ein Trend mit gravierenden Folgen für die öffentliche Gesundheit.

Bild zum Artikel„Frag mich doch mal – die richtigen Fragen an dich selbst“

Die Macht der Frage wird vor allem in der Selbstreflexion sehr häufig unterschätzt. Fragen sind ein starkes Werkzeug, um sich und sein Handeln zu hinterfragen und neue Handlungsoptionen für die Zukunft zu entwickeln.

Navigation Schließen Suche E-Mail Telefon Kontakt Pfeil nach unten Pfeil nach oben Pfeil nach links Pfeil nach rechts Standort Download Externer Link Startseite